ANSPRACHE VON DEKAN LUDWIG NÖLL
ZUR GLOCKENWEIHE IN ST. JAKOBUS NAUHEIM,
AM SONNTAG, 30. SEPTEMBER 2001.

Liebe Mitbrüder im geistlichen Dienst, meine lieben Nauheimer,
besonders: liebe Gemeinde!

Vor nicht ganz 40 Jahren durften wir drei Glocken für diese Kirche
weihen. War das eine große Sache! Wir holten die Glocken in
feierlicher Prozession ab und fuhren sie durch die Straßen zur Kirche.
In der Zwischenzeit - vielleicht nicht gerade in den noch mehr dörflich
orientierten Gemeinden - wollte man schon aus finanziellen Gründen
von Glocken nicht viel wissen. Auch wurden sie für das am Sonntag sich
ausschlafende Publikum vielfach als Lärmbelästigung empfunden.
Umso schöner ist es, dass heute wieder eine ganze Reihe von
Kirchengemeinden Glocken anschaffen oder ein Geläute ergänzen,
wie das in den verschiedensten Zeitungen zu lesen ist. Ein Zeichen
dafür, dass man Geld nicht nur verzweckt ausgeben will, sondern dass
es noch etwas gibt, das zur Ehre Gottes und zur Freude der
Gemeinde angeschafft werden darf und soll, ohne dabei sofort
wieder die caritative Note zu bedenken.

Ich kann nur sagen, liebe Schwestern und Brüder, herzlichen
Glückwunsch zum Entschluss einer vierten, im Ton unten liegenden
Glocke, ermöglicht durch die Spendenfreudigkeit hier in Nauheim, und
das zu einem so historischen Zeitpunkt - im Rahmen der 1150-
Jahrfeier - den diese dem HI. Jakobus d.Ä., unserem Kirchenpatron
gewidmete Glocke als Inschrift trägt.

Denn eine Glocke ist auch in unserer Zeit, in der technischer Lärm
vielfach das tägliche Leben überlagert, immer noch das Besondere und ich sage:
wieder neu und erst recht das, was wir im Evangelium über Johannes
den Täufer gehört haben. Vorausgesagt von den Propheten: sie ist die
Stimme eines Rufers in der Wüste, Wegbereiter und Ermahner für
Christus: mahnende Stimme in den vielen Wüsten unserer Tage.
Dabei denken wir weniger daran, dass Wüste im ursprünglichen Sinn
Ort der Einsamkeit, der Zurückgezogenheit und Besinnung ist,
sondern das, was von innen her kahl und verödet ist heute gerade
wegen der Überangebote an Unterhaltung und Zerstreuung.
Wenn Sie nun bald ein vierstimmiges Geläute haben mit den
Tonfolgen des Salve Regina, dann wird auch das noch deutlicher,
was schon Friedrich Schiller in seinem Lied von der Glocke gedichtet
hat: dass die Glocke nämlich ein Begleiter des Menschen ist, von Kind
auf durch alle Altersstufen des Lebens hindurch bis zum Tod, zum
Tod des geliebten Partners und dem eigenen Sterben. Und bei aller
Zeitgebundenheit der Schillerschen Dichtung tritt uns doch im Lied
von der Glocke der Realist vor Augen, der zu sagen wußte, wie
wechselhaft und unberechenbar das menschliche Leben ist, wie hier
alles in einem Auf und Ab durch uns hindurch und über uns
hinweggeht.

Aber nicht nur der persönliche Bezug der Glocke zu mir ist
entscheidend. Die Glocke hat nun einmal durch ihren unüberhörbar
lauten Klang bis etwa fünf km weit die Fähigkeit, dem, was die
Menschen tun und feiern, ein festliches Gepräge zu geben. Bei vier
Glocken haben sie dann durch die unterschiedliche Kombination der
einzelnen Glocken miteinander große Möglichkeiten, dem Charakter
der Feier oder auch der Lebenslage den Stempel des Festlichen, des
Freudigen, aber auch des Traurigen aufzudrücken.
Schon die Alten wußten es: wo Verantwortung ist für eine
großräumige Gemeinde, wenn man die Menge steuern und
zusammenhalten will, dann bedarf es der verschiedenen Signale, wie
wir es im Buche Numeri gehört haben. Damals waren es
Silbertrompeten, die durch verschiedene Rufe dem
umherwandernden jüdischen Volk die jeweils richtige Richtung angab.
Seit dem sechsten nachchristlichen Jahrhundert und nach einer
allmählichen Entwicklung sind es für die Christen die Glocken bis auf
den heutigen Tag, die die Gemeinden zusammenrufen. Und man
kann nicht sagen: die Leute haben doch größtenteils eine Uhr. Was
braucht es da noch Glocken. Jeder kennt doch die Zeit und den
Beginn der Gottesdienste. Eine solche Äußerung ist halt typisch für
eine Menschheit geworden, die nur noch mit ihrem Verstand
errechnet, wie ich auf kürzestem Weg zum größten Erfolg mit
möglichst wenig Aufwand meiner Kräfte gelange.

Es wird uns aber im Lied von der Glocke deutlich gesagt, wie wenig
wir bei allem Fleiß und bei aller Anstrengung das Gelingen unseres
Lebens und unserer Arbeit in der Hand haben. Es beginnt schon bei
der Glocke selbst. Festgemauert in der Erde bedeutet nicht, dass der
Guss unbedingt gelingen muss. Und es wird auch geschildert, was ist,
wenn sich die Gussmasse verselbständigt, wenn die Form zerspringt
und zerbrochen wird, wenn die Teile sich verselbständigen in eine
Richtung, die nicht vorgesehen war. Es wird auch von den
Alarmsignalen gesprochen, wenn Feuer ausbricht und nicht sofort in
die richtige Bahn gelenkt werden kann. Und wie wir darum beten
müssen, daß wir nicht durch Kriege überrascht werden.

Gerade dieser letzte Hinweis hat in unseren Tagen wieder an
Bedeutung gewonnen, denn wir wissen nicht, was uns die nahe
Zukunft bringen wird, und wie die zivilisierte Welt Herr über den
Terrorismus wird. Freilich haben wir das gute Gefühl, dass die
Menschheit in den letzten Tagen zusammengerückt ist, und dass wir
uns alle im gleichen Boot befinden. Und das ist gut so.
Aber wir dürfen uns am heutigen Tag von Herzen wünschen, dass
diese Glocke zusammen mit ihren drei älteren und kleineren
Schwestern zu den Anlässen läuten kann, wie sie in dem Entwurf
einer neuen Läuteordnung für die Pfarrgemeinde ausgewiesen sind.
Dass sie vor allem die Gemeinde zusammenruft, dass sie Signal für die
Gemeinschaft der Kirche wird, die Gott anbetet. In allem jedoch
möchten wir uns zu eigen machen, was Schiller am Schluß seines
Liedes von der Glocke geschrieben hat:
Friede sei ihr erst Geläute.
Ja, liebe Schwestern und Brüder: Friede, Friede, Friede!
Amen.


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