Motto 2013: "Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmäler? "Das historische Rathaus (erbaut 1755) in Nauheim
Im Jahre 1952 wurde das Nauheimer „alte“ Rathaus in die Denkmalliste aufgenommen (Denkmalschutzgesetz von 1902). Alle vor 1870 errichteten Gebäude sind darin zu erfassen. Dazu kamen noch einige weitere Gebäude, wie die ev. Kirche und sieben Wohnhäuser in Vorderstraße und Hintergasse.
Erstmals im Jahre 1974 wurde in der Gemeinde Nauheim darüber beraten, ob ein Abriss, Verkauf oder eine Sanierung für eine neue gemeindliche Verwendung infrage kämen. In zwei Gutachten zu Renovierungsmöglichkeiten der Planungsgenossenschaft Darmstadt und der Planungsgruppe Hytrek, Flörsheim, 1976 erstellt, (Kosten 1.837 DM), wurden vier Konzepte in unterschiedlichen Abwandlungen vorgeschlagen. Dies waren Nutzungen als Altentreff (EG), Bibliothek und Ausstellungsraum für das Heimatmuseum (OG) und Wohnen oder Gruppenräume (DG).
Der gutachterliche Zustand des alten Rathauses war sehr vielversprechend. Trotz des äußerlich heruntergekommenen Zustandes, war die Bausubstanz zufriedenstellend. Die Dacheindeckung mit Biberschwänzen war in Ordnung. Bei der Untersuchung des Dachstuhls wurde kein lebender Befall von Holzschädlingen festgestellt. Eine Behandlung gegen Fäulnis und Befall war erst einmal nicht notwendig. Auch an den tragenden Deckenbalken wurde stichprobenmäßig kein Befall erkannt. Der Verputz fällt an einigen Stellen ab, ist aber zur Freilegung des Fachwerkes sowieso zu entfernen. Die vorhandene Lehmverfachung ist zufriedenstellend. Die gut erhaltenen Sandsteinsockel müssen vom aufgemauerten Mauerwerk befreit werden. Fenster, Innenwände, Dachrinnen usw. sind zu erneuern.
Das alte Rathaus Ende der 70er Jahre kurz vor einem eventuellen AbrissDer erste Abbruchantrag der Gemeinde von Anfang 1975 verpflichtete die Gemeinde, sich mit dem Landeskonservator in Verbindung zu setzen, weil das alte Rathaus bereits 1952 unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Schon im Mai 1976 wurde der Gemeinde eine Resolution zum Abriss des alten Rathauses mit 406 Unterschriften, hauptsächlich aus dem alten Ortskern, vorgelegt. Der Gemeinde lagen neun Angebote von Kaufinteressenten vor, die als Private nach einer Restaurierung Wohnen oder die Einrichtung von Gastwirtschaften vorschlugen.
Die SPD-Fraktion beantragte im Juni 1976 Maßnahmen gegen den Verfall des alten Rathauses zu treffen und Nutzungsvorschläge für das Gebäude zu erarbeiten. Mehrheitlich (15:5:3) wurde dem zugestimmt.
Im Oktober 1976 erhielt die Gemeinde vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen die Nachricht, dass das alte Rathaus in die vorläufige Denkmalliste aufgrund es Hessischen Denkmalschutzgesetzes vom 23.9.1974 eingetragen ist. Dagegen war Widerspruch möglich, der vorsorglich vom Gemeindevorstand am 26.10.1976 eingelegt wurde.
Die CDU-Fraktion hat mit Anträgen im Dezember 1976 und Juli 1977 an die Gemeindevertretung für einen Abriss des alten Rathauses und Mittel für den Abbruch in den Haushalt 1978 plädiert. Dies wurde dann auch so in Gemeindevertretersitzungen beschlossen.
Die NFWG-Fraktion beantragte 1978, in den Haushalt 30.000 DM für einen Abriss einzustellen. Dies wurde wegen des laufenden Verfahrens aus haushaltsrechtlichen Gründen abgelehnt.
Der Widerspruch der Gemeinde gegen die Eintragung in die Denkmalliste wurde am 24.1.1978 vom Landesamt für Denkmalpflege zurückgewiesen. Daraufhin reichte die Gemeinde Klage beim Verwaltungsgericht in Darmstadt ein. Zu dieser Zeit war die Gemeindevertretung wegen der Annullierung der Kommunalwahl nur bedingt zuständig; der Regierungspräsident musste die Gemeindevertretung auf Antrag des Bürgermeisters „beauftragen“ (§ 141 HGO). Sie wurde zur „staatsbeauftragten Gemeindevertretung“. Der Hessische Städte- und Gemeindebund wurde mit der Klageeinreichung beauftragt.
Die „neue“ Gemeindevertretung beschloss in ihrer 2. Sitzung am 17.5.1978 mit 25 Stimmen, bei 3 Gegenstimmen und einer Enthaltung die mit Schreiben vom 24.2.78 erhobene Klage gegen den Bescheid des Landesamtes für Denkmalpflege vom 9.2. 77 über die Eintragung des alten Rathauses in das Denkmalbuch aufrecht zu erhalten. In der Klage wird das alte Rathaus als schmuckloser, verputzter Fachwerkbau ohne künstlerische oder geschichtliche Qualitäten beschrieben. Es handele sich nicht um ein schutzwürdiges Kulturgut und es bestehe mehrheitlich kein öffentliches Interesse am Erhalt des Gebäudes. Das Kulturdenkmal im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten und zu pflegen, werde bei weitem überschritten, usw.
In der neuen Legislaturperiode 1978/81 hat die Gemeindevertretung ein „17-Punkte-Programm“ als Geschäftsgrundlage für das Handeln der nächsten Jahre gemacht. Ziff. 6 dieses Programms lautete: „Altes Rathaus – Der Bestand des alten Rathauses ist abhängig von der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes. Entsprechend dieser Entscheidung wird das Gebäude abgebrochen oder renoviert und einer sinnvollen Nutzung zugeführt“.
Im Sommer 1981 veranstaltete die Nauheimer SPD ein sog. „Altstadtfest“, bei dem der Öffentlichkeit das alte Rathaus im allgemeinen und speziell ein teilrenoviertes Gefach das Aussehen des Gebäudes nach einer Restaurierung vor Augen führen sollte. Diese Aktion führte natürlich die Abrissbefürworter auf parlamentarischer Ebene auf den Plan.
Am 10.2.1982 wurde die Klage vom Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Gemeinde verzichtete auf das Rechtsmittel der Berufung.
Beim alten Rathaus handelt es sich um ein Kulturdenkmal nach § 9 DSchG wegen seiner künstlerischen, geschichtlichen und städtebaulichen Bedeutung als z.Z. verputzter barocker Fachwerkbau von 5 x 3 Achsen mit Krüppelwalmdach, zweigeschossig, Zierfachwerk an den Giebelseiten - in platzbestimmender ortsbildprägender Lage.
Das restaurierte historische Rathaus im Jahre 2013 mit Dorfbrunnen und Sommerlinde (re.)
und auf der linken Seite der Rathaushof (Blick vom Dachreiter der ev. Kirche)
Geschichtliche Entwicklung des historischen Rathauses in Nauheim
Das "alte" Rathaus diente den Nauheimern von 1755 bis 1959 als Sitz des Bürgermeisters, der Verwaltung und als Tagungsort des Gemeinderates. In diesem Jahr baute die Gemeinde Nauheim ein neues Rathaus, da das alte aus allen Nähten platzte. Dieses Rathaus befindet sich in der Weingartenstr. 46 - 50, dem damaligen Neubaugebiet „Unter der Muschel". Es reichte der Verwaltung auch nur über einen begrenzten Zeitraum, so dass im Jahre 1980 eine Erweiterung notwendig wurde. Das Gebäude umfasst nun einen weitaus größeren Rahmen, der sowohl der Verwaltung als auch den gemeindlichen Gremien für Sitzungen zur Verfügung steht. Im Jahre 2011 wurde im Zuge eines "Konjunkturprogramms" dieses neue Rathaus energetisch saniert, das ehemalige Flachdach als niedriges Walmdach ausgebildet und der Eingangsbereich erneuert und behindertengerecht gestaltet.
Das alte Rathaus am Heinrich-Kaul-Platz stand bis in die 80er Jahre leer und wurde nicht gerade sehr pfleglich und behutsam verwaltet. Teilweise diente es als Unterbringungsmöglichkeit für Obdachlose; lange Zeit jedoch nahm von dessen Existenz kaum jemand Notiz. Es wurde teilweise sogar zum ,,allgemeinen Ärgernis", so dass einige bereits seinen Abbruch forderten. Dank der Eintragung in das Denkmalbuch des Landes Hessen blieb das Haus jedoch von diesem Schicksal verschont. Verschiedene Meinungen in den gemeindlichen Gremien schwankten vom Verkauf an einen Privatmann bis hin zur Erhaltung im Sinne der Allgemeinheit. Inzwischen sind die Würfel längst gefallen. Das alte Rathaus wurde Ende 1984 mit erheblichem Kostenzuschuss des Landes Hessen aus dem Dorferneuerungsprogramm für die Öffentlichkeit erhalten. Die Gesamtkosten der Restaurierung betrugen (einschl. der Ingenieurhonorare) 464.625 Euro (908.727 DM). Im Anschluss an diese Maßnahme wurde der Heinrich-Kaul-Platz wieder mit Kopfsteinpflaster hergerichtet, was nochmals mit 147.565 Euro (288.613 DM) zu Buche schlug.
Seit 1986 steht es seiner neuen Bestimmung als Begegnungsstätte für die Bürgerinnen und Bürger, als Betreuungseinrichtung für die Seniorenarbeit der Gemeinde Nauheim und für diverse andere öffentliche Nutzungen zur Verfügung. Nauheim hat sich ein Kleinod an erhaltenswerter Bausubstanz im alten Ortsbereich geschaffen. Hinzu kommt noch, dass verschiedene andere Hauseigentümer in Alt-Nauheim bereits mit gutem Beispiel vorangingen und ihre alten Häuser sanierten und renovierten.
Seit Einführung der "Zivilehe" und der damit verbundenen ersten Trauung in Nauheim am 19. März 1876, haben ganze Generationen Nauheimer Bürgerinnen und Bürger im 1755 errichteten Rathaus, den Bund für das Leben geschlossen. Bedingt durch den Umzug der Verwaltung in das neue Rathaus in der Weingartenstraße, war die letzte Eheschließung in den alten Räumen am 20. Dezember 1958.
Am 21. April 1995 wurde die Tradition, sich im "Historischen Rathaus" das Ja-Wort zu geben, wieder aufgegriffen. Im großen Raum des Obergeschosses wurde das Trauzimmer der Gemeinde Nauheim eingerichtet. Das neue Ambiente findet regen Zuspruch bei den heiratswilligen Paaren. Die erste Trauung wurde von Bürgermeister Helmut Fischer vollzogen.
Im Juli 2013 hatten sich im Trauzimmer (1. OG) die beiden Deckenbalken bedenklich durchgebogen, sodass in einer "Blitzaktion" vier Stützbalken eingezogen wurden. Vor der Sanierung des alten Rathauses 1986 waren auch in diesem Raum zwei Stützpfeiler, wie im EG, vorhanden.
Tagsüber werden der Raum im EG und ein Raum im OG von der Volkshochschule für Kurse genutzt. Viele Vereine, aber auch Private, nutzen das historische Rathaus und den Hof für Feste und Veranstaltungen.
Vor diesem "historischen" Rathaus gab es einen Vorgänger, das sog. erste alte Rathaus, das 1588 errichtet wurde und bis zur Erneuerung im Jahre 1755 genutzt wurde.