Erste Ergebnisse der Untersuchung an römischen Lagern in Nauheim "Herrnwiese"
(Landkrs. Groß-Gerau)

 

Spuren im Sand
Martin Posselt, Carsten Wenzel
erschienen in "Hessenarchäologie 2002",
Konrad Theiss-Verlag GmbH, 70191 Stuttgart
 

 

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In den 1990er-Jahren zeigten sich den beiden Luftbildarchäologen Peter Groß und Otto Braasch unabhängig voneinander zum ersten Mal verdächtige Spuren in der Flur "Herrnwiese" südwestlich des Ortes Nauheim im nördlichen hessischen Ried. Die Luftbilder zeigen klar den Verlauf eines Doppelgrabensystems. Ein über mehrere hundert Meter in Ost-West-Richtung zu verfolgender Abschnitt biegt an seinem westlichen Ende in breitem Bogen rechtwinklig nach Norden um (s. Abb). Der Doppelgraben ist auf dem Nord-Süd verlaufenden Abschnitt auf einer Strecke von ca. 40 m zu erkennen. In ost-westlicher Richtung lässt er sich mit Unterbrechungen rund 450 m weit verfolgen. Damit ist die südwestliche Ecke eines ausweislich seiner Form und Größe römischen, bislang unbekannten Militärlagers im Luftbild erfasst. Im Rahmen der Planungen für den Regionalpark Rhein-Main, in dessen Trasse, die Flur "Herrnwiese" liegt, wurde mit Untersuchungen an dem römischen Lager begonnen. Dieser erste Schritt sollte in Form einer geophysikalischen Prospektion vorgenommen werden, um einerseits mehr über den weiteren Verlauf der Lagergräben und damit die Größe der Gesamtanlage zu erfahren: darüber hinaus sollte die Prospektion Aufschluss über eine möglicherweise vorhandene Innenbebauung geben. Diesbezüglich sind im Luftbild nur in der Südwestecke Befunde zu erkennen.

Für die Messwertaufnahme wurde die geomagnetische Prospektionsmethode ausgewählt. Mit den finanziellen Mitteln der Regionalpark Rhein-Main Südwest GmbH wurde eine Fläche von 20.000 m² geomagnetisch untersucht.

Magnetometerprospektion
A Grabungsbefunde,
B Umzeichnung des Luftbildes und der Ergebnisse der Magnetometerprospektion
 

Die geomagnetische Prospektion tastet den Untergrund zerstörungsfrei nach verborgenen archäologischen Strukturen über ihre magnetischen Eigenschaften (Suszeptibilität) ab. Dabei ist entscheidend, dass die gesuchten Befunde hinsichtlich ihrer Magnetisierung einen Kontrast zum umgebenden gewachsenen Untergrund aufweisen. Die Befunde können stärker oder auch schwächer magnetisiert sein. Dementsprechend treten sie als Verstärkungen oder als Abschwächungen des Erdmagnetfeldes in Erscheinung (positive bzw. negative Anomalien). Sind Befunde und geologischer Untergrund in gleichem Masse magnetisiert, lassen sich mit dieser Methode keine Befunde nachweisen.

Die Fundstelle liegt am Nordende der Oberrheinebene, im früheren Mündungsbereich der Flüsse Main und Neckar in den Rhein. Pleistozäne Sedimente dominieren das Gebiet um Nauheim. Die nördliche Hälfte der 2 ha großen Untersuchungsfläche liegt auf sandigen Ablagerungen (pleistozäner jüngerer Flugsand), die südliche Hälfte auf tonigen Sedimenten (pleistozäner Flussschlick).

Bereits ein Blick auf die bodenkundliche Kartierung des Gebietes zwischen Trebur und Nauheim lässt eine starke Gliederung der Böden erkennen. Diese Vielgestaltigkeit ist auch noch innerhalb der Untersuchungsfläche der Geomagnetik vorhanden und dürfte sich auf die Prospektierbarkeit von archäologischen Befunden auswirken.

Erst der Abgleich des Magnetikbildes mit den Kartierungen der Geologie und der Bodentypen ermöglicht eine Interpretation der magnetisch ermittelten Strukturen. Insgesamt liegen sehr heterogene geologische und bodenkundliche Verhältnisse vor.

Römische Tasse

Tasse aus der Nauheimer Gemarkung. Der Typ imitiert die Terra Sigillata, das feine römische Keramikgeschirr. Produziert wurde er vermutlich vom zweiten Jahrzehnt v. Chr. bis in tiberische Zeit. (u.) Grifffragment einer bronzenen Kasserolle von der "Herrnwiese" (Fund Ph. Bärsch). Gefäße dieser Art wurden vom 1. Jahrhundert v. Chr. bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr. produziert. Sie zählten zum Trinkservice römischer Haushalte und bildeten in der Kaiserzeit zudem Bestandteil der militärischen Ausrüstung. 


Trotz aller Beeinträchtigungen lassen sich die Lagergräben in ihrem Nord-Süd-Verlauf nachweisen. Unterbrechungen im Verlauf der Lagergräben sind vor allen Dingen auf wechselnde, geologische Bedingungen zurückführen. Die Gräben laufen über die Nordgrenze der Untersuchungsfläche hinaus und sind damit an der Westseite des Lagers, über eine Strecke von rund 200 m magnetisch nachweisbar. Ein Tor an der Westseite des Lagers kann innerhalb der Untersuchungsfläche nicht nachgewiesen werden. Allerdings kann aus methodischen Gründen das Vorhandensein eines Tores auch nicht ausgeschlossen werden. Die Geomagnetik kann ein nur sehr fragmentarisches Bild der Innenbebauung des Lagers in einem kleinen Teil der Untersuchungsfläche geben. Nahe der südwestlichen Ecke des Lagers kann ein über 20 m langer kleiner Graben sichtbar gemacht werden. Eine Vielzahl von weiteren Befunden - wahrscheinlich Gruben - befindet sich außerhalb des Lagers. Sie können allerdings nicht zeitlich eingeordnet werden. Eine Bestimmung ihrer Funktion ist ebenfalls nicht möglich. Ob die zahlreichen Anomalien in der nördlichen Hälfte der Untersuchungsfläche, die sich innerhalb und außerhalb des Lagers finden, auf Besiedlungsspuren hindeuten oder bodenkundliche Erscheinungen sind, kann nur mit weiteren Feldforschungen (Bohrung, Ausgrabung) erschlossen werden.

Es besteht kein Zweifel: In den Luftbildern und der Geomagnetik finden sich Gräben sowie die Südwestecke eines großen römischen MilitärIagers, dessen Flächeninhalt sich bisher nur schätzen lässt. Die in den Aufnahmen erkennbare Länge seiner südlichen Front mit rund 450 m lässt bei einer annähernd symmetrischen Konzeption der Anlage auf eine Größe von rund 15 - 20 ha oder darüber schließen - Platz für mindestens eine komplette römische Legion (rund. 5.500 - 6.000 Mann) samt ihres Trosses. Diese mit den Hilfsmitteln moderner Archäologie gewonnenen Ergebnisse versetzen in die Lage, seit langem bekannte Befunde unter neuen Gesichtspunkten zu betrachten. Bereits 1901 hatten Funde auf der an die "Herrnwiese" angrenzenden Flur "Seichböhl" zur Entdeckung eines elbgermanischen Brandgräberfeldes der frühen Kaiserzeit (erstes bis drittes Viertel des 1. Jahrhunderts n. Chr.) geführt. Im Zuge der dort durchgeführten Grabungen stießen Eduard Antlies und Heinrich Giess 1910 rund 650 m nordöstlich der im Luftbild erkennbaren Lagerecke auf einen Doppelgraben und untersuchten ihn mit kleinen Sondageschnitten. Die dabei dokumentierte Flucht der Gräben schließt ihre Zugehörigkeit zu der in den Luftbildern erfassten Anlage aus. Die Ausgräber konnten dem Doppelgraben in Ost-West-Richtung auf einer Strecke von 160 in Länge folgen, ehe er im weiteren Verlauf nach Süden umbog. Spuren einer Holz-Erde-Mauer wurden nicht festgestellt; an einer Stelle glaubte man jedoch, die Überreste eines Tores erkannt zu haben. Die Gräben zeichneten sich direkt unter der neuzeitlichen Humusschicht ab. Sie besaßen noch eine obere Breite von etwa 4,5 m bei einer Tiefe von rund 1,5 m unter moderner Oberfläche. Ihnen fehlt das für römische Militäranlagen typische Spitzgrabenprofil: die erhaltene, stark schematisierte Zeichnung weist sie vielmehr als Sohlgräben mit wannenförmigem Querschnitt aus. Leider sind ein Großteil der damaligen Grabungsdokumentation und die Funde heute verloren; die Deutung einzelner Befunde wird bereits durch widersprüchliche Angaben der Ausgräber selbst erschwert. Zudem fehlt bis heute aussagekräftiges Fundmaterial, das sicher einer der Anlagen zuzuweisen wäre. Aus ihrem direkten Umfeld stammen einige wenige Funde, darunter auch Münzen und Keramik aus der Zeit von Kaiser Augustus. Ein Zusammenhang dieser Stücke mit dem benachbarten germanischen Gräberfeld ist allerdings keinesfalls auszuschließen.

Die historische Einordnung der Militärlager im Süden der Gemeinde Nauheim wird durch diese Umstände nachhaltig beeinflusst. Die Entfernung in Reichweite eines Tagesmarsches von der Operationsbasis Mainz mit ihren Truppenstandorten sowie die günstige topographische Lage auf einem flachen Landrücken direkt oberhalb des bis in die frühe Neuzeit hinein schiffbaren Schwarzbachs prädestinierte den Platz für den Bau eines Stützpunktes östlich des Rheins. Es ist daher denkbar, dass man das Areal mehrfach als Basis im südmainischen Raum nutzte. Eine vergleichbare Situation findet sich nur wenige Kilometer nordwestlich Nauheims bei Trebur-Geinsheim. Unweit des Rheins errichteten dort römische Truppen im 1. Jahrhundert mehrere Lager, die durch Luftbilder entdeckt werden konnten. Brückenköpfe dieser Art waren für das römische Heer bei jedem Vordringen über den Rhein von großer strategischer Bedeutung. Aus historischen Erwägungen ist eine Errichtung der Nauheimer Lager weder infolge der Feldzüge unter Augustus (12/10 v. Chr. bis 9 n. Chr.), seinem Nachfolger Tiberius (14-16 n. Chr.) noch unter Claudius (41- 54 n. Chr.) auszuschließen. Auch ein Zusammenhang mit der endgültigen Besetzung der östlichen Oberrheinebene unter Vespasian in den Jahren 73/74 ist möglich. Hinweise in Hinblick auf die Datierung und Deutung der Anlagen versprechen vor allem gezielte Probegrabungen, die wichtige Auskünfte über den Charakter der Umwehrung und eine mögliche Innenbebauung geben könnten. Weitere Maßnahmen vor Ort erscheinen auch vor dem Hintergrund einer stetigen Präsenz von Metallsondengängern auf dem Areal dringend geboten - Funde dieser Aktivitäten sind der zuständigen Außenstelle des Landesamtes in Darmstadt bislang freilich nicht bekannt gemacht worden.

 (Siehe auch Nauheimer Chronik I, "Die Gemarkung Nauheim in römischer Zeit", Seite 79 ff)
 


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