Entwicklung der Einwohnerzahlen in Nauheim in den letzten 500 Jahren
Als Martin
Luther am 15. April 1521, gegen Mittag, auf seiner Reise von Wittenberg
nach Worms an Nauheim vorbei kam, lebten hier vielleicht 80 Menschen,
noch gut gläubig römisch-katholisch. Kurz danach waren sie reformiert,
wie ihr Landesfürst, Landgraf Philipp der Großmütige (1509-1567).
Machen wir nun einen größeren Zeitsprung. Vor dem 30jährigen Krieg sind
in Nauheim 13 urkundlich nachgewiesene Hofreiten bekannt. Unter der
Annahme, dass in einer Hofreite 8 bis 10 Menschen lebten, ist eine
Einwohnerzahl von 100 bis 120 realistisch. Der 30jährige Krieg hat auch
in Nauheim seine Spuren hinterlassen. Anfang Juni 1622 fielen Truppen
des Peter Ernst Graf von Mansfeld in das Dörfchen ein und raubten
alles, was nicht niet- und nagelfest oder gut versteckt war. 1635
tötete die Pest die Mehrzahl der verbliebenen, völlig verarmten
Bewohner. 1638, zwei Jahre nach der Pest, war Nauheim fast menschenleer.
Die Nauheimer
Einwohnerentwicklung beginnt nachweisbar erst im Jahre 1677 mit 82
Einwohnern, männlich wie weiblich, in 32 Häusern. 1694 hatte das kleine
Dörfchen schon 129 Einwohner. Bebaut waren Vorderstraße und Hintergasse
und die spätere Rathaussraße. 1. Bürgermeister war Jost Jockel, 2.
Bürgermeister Johannes Daumen. Die Bürgermeister wurden jedes Jahr neu
bestimmt. Pfarrer war Johann Dietrich Dietz (1692 – 1725).
Im Jahre 1804
wurden 502 Bewohner gezählt. In den Jahren 1840 bis 1850 bewegte sich
die Anzahl der Menschen in Nauheim um 750. 1858 lebten 773 im Ort,
davon waren 724 lutherisch, 11 katholisch und 38 Juden. 110 Häuser gab
es.
Die Jahre 1846
und 1847 waren durch die letzte große Hungersnot der vorindustriellen
Zeit geprägt: Lebensmittelknappheit, sehr kalte Sommer und Winter und
somit Hungerepidemien. Witterungsbedingte „Missernten“ und die
zusätzlich seit 1844 grassierende Kartoffelfäule dezimierten die
Vorräte an Grundnahrungsmitteln und führten zu deren Verknappung. Es
herrschte eine große Hungersnot, was dazu führte, dass viele Familien
nach Amerika auswanderten.
1853 wurden
etwa 20 bedürftige Familien auf Gemeindekosten nach Amerika verschifft.
Es entstanden dadurch der Gemeinde, die schon in den 1840er Jahren
schuldenfrei geworden war, wieder einige Schulden, welche aber in den
folgenden Jahren getilgt wurden. In dieser Zeit sank die Einwohnerzahl
von 836 (1854) auf 798 (1863).
Auch der
bekannte Peter Bajus (1795 - 1875), Nauheimer Langlauftalent und
landgräflicher Hofläufer, trat zweimal die Reise nach Übersee an,
einmal im Jahre 1852, um sich durch eigenen Augenschein von den
geschilderten Lebensverhältnissen zu überzeugen, und das andere Mal im
Jahre 1856, um endgültig mit seiner Familie dort zu bleiben.
War in der
alten Zeit Nauheim ein reiner Bauernort, der eben nicht mehr Einwohner
beherbergen und ernähren konnte, als er Land und Wald hatte. Das blieb
so bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die neue Zeit jedoch war
durch eine ständig zunehmende Einwohnerzahl infolge neuer Verdienst-
und Ernährungsmöglichkeiten charakierisiert. Dazu kamen auch kulturelle
Einrichtungen. War es früher selbstverständlich gewesen, dass man
Wasser vom Brunnen holte, das Petroleumlicht brannte, so gehörte zur
neueren Zeit die Wasserleitung und das elektrische Licht. Dazu kamen
handwerkliche, genossenschaftliche, industrielle Betriebe, die den
Menschen neue Verdienstmöglichkeiten schufen. Und nicht zu vergessen:
1858 wurde die Eisenbahnstrecke zwischen Darmstadt und Mainz eröffnet,
was zu einer Konzentration im Einzugsbereich dieser Einrichtung führte.
Schon zehn Jahre später waren in Nauheim 877 Einwohnerinnen und
Einwohner. Um die Jahrhundertwende 1899/1900 lebten in Nauheim ca. 1400
Menschen in 250 Häusern. Die Bebauung hatte sich ausgedehnt über Mühl-
und Bahnhofstraße und über die Wilhelm-Leuschner-Straße zur
August-Bebel- und Karl-Liebknecht-Straße. Bürgermeister war Johannes
Berz (1854 – 1923).
Vor Beginn des
Ersten Weltkrieges hatte Nauheim um 1910 1789 Bewohner, die in 303
Häusern wohnten. Evangelisch waren 1687, katholisch 32 und jüdischen
Glaubens waren 20. Bis ins Jahr 1925 stieg die Bevölkerungszahl auf
2018, die kurioserweise bis 1932 konstant blieb. Es gab 365 Wohnhäuser.
Die NS-Zeit begann 1933 mit einer Bevölkerungszahl von 2313 und endete
1945 mit 2761 Einwohnern.
Mit den
Aussiedlern und Flüchtlingen begann für Nauheim das rapide Wachstum.
Schon 1950 waren es 3886 mit 2537 evang. Glaubens, 1143 Katholiken und
206 Dissidenten. In dieser Zeit regierte (wieder) Bürgermeister
Heinrich Kaul IV. (1946 - 1948) und kümmerte sich um die Ansiedlung der
Flüchtlinge, welche später die Musikindustrie aufbauten. Georg Schad
wurde 1948 von der Gemeindevertretung zum ehrenamtlichen Bürgermeister
der Gemeinde Nauheim gewählt. Er konnte nahtlos die Arbeit seines
Vorgängers übernehmen: das war die Zeit, in der ein Baugebiet nach dem
anderen geschaffen wurde. 1950 begann der Wohnungsbau in der
verlängerten Goethestraße. Das neue Schulhaus wurde 1951 gebaut, denn
durch die steigende Einwohnerzahl wuchs der Bedarf an zusätzlichen
Schulplätzen sprunghaft. Im gleichen Jahr wurde die Baulandumlegung
„Unter der Muschel“ (1954 – 1957) mit rd. 100.000 m²
durchgeführt. Dann kam die „Taunusstraße" (1948 – 1951). Es
folgten "Am Weiher" (1957 – 1958) und das Wohngebiet „Schleifweg" (1959
– 1960). Bis dahin war die Bevölkerung auf 5232 Personen angewachsen.
Weitere Wohngebiete wurden „Wüste Wiese" (1965), „Ochsengrund" (1968)
und "In den Niederwiesenäckern" (1969). Nauheims Einwohner waren 1970
auf 6571 gestiegen.
Die beiden
großen Wohngebiete „Im Teich" (1973-1976) und „Wolfsberg" (1982-1984)
mit in der Regel Einfamilienhäusern sorgten für eine problematische
Bebauung bei hohen Grundwasserständen. Die Einwohnerzahl lag 1984 bei
9615 und erreichte die magische Zahl von 10.000 Einwohnern am 1.8.1986.
Nauheim hätte nun Stadtrechte beantragen können – aber aus lauter
„Bescheidenheit“ verzichteten die politischen Gremien. Nauheim blieb
Dorf!
„Nauheim Ost"
(1988) und „Im Rod" (1989-1991) waren die letzten Wohngebiete, die
unter Bürgermeister Rudolf Zaich (Amtszeit von 1975 – 1993) entwickelt
wurden. Die Höchstzahl der Einwohnerzahl lag am 1.7.1991 bei 10.866,
ehe sie wieder langsam sank auf 10.507 zur Jahrtausendwende. Die
„Politik“ gab sich alarmiert, weil Nauheim den Ruf einer alternden
Gesellschaft inne hatte.
Das „Köstler"-
(1997-2015) und „Keilwerth-Gelände" (2003-2010) waren ehemalige
Produktionsstätten für Musikinstrumente, die nach der Verlagerung bzw.
Aufgabe der Fertigung, mit Wohnhäusern bebaut wurden und die
Bevölkerung in Nauheim auf 10.770 im Jahre 2015 wieder
heraufschraubten. Für Bürgermeister Helmut Fischer (Amtszeit 1993 –
2005) waren diese, neben der Inangriffnahme der planerischen Gestaltung
des zukünftigen Gemeindemittelpunktes „Feldchen" (2006 - 2013), die
wichtigsten Baugebiete. Die Bevölkerungzahl lag nach dem Bezug des
letzten Wohnhauses auf dem "Feldchen" bei 10.576.
Die folgenden
Bebauungen waren im Grunde Lückenschließungen. Die Wohnbebauung "Am
Bahnhof" (2015/16), der Wohnklotz "Schillerplatz" (2016/17), das
Wohngebiet "Bärsch" (2018-2019) und die Wohnbebauung „Graslitzer
Straße" (2020/2021) anstelle der Etuifertigung der Firma Winter.
Zusätzlicher Wohnraum wird stetig durch Nachverdichtungen
(Georg-Diehl-Straße) oder Ersatzneubauten in größerem Umfange in der
Amtszeit von Bürgermeister Jan Fischer (seit 2011) erzeugt.
Zu Beginn des
Jahres 2021 hatte die Gemeinde 10.905, am Jahresende waren es
10.987 Einwohnerinnen und Einwohner, denen 4.950 Wohnungen zur
Verfügung standen. Da in die neuen Wohngebiete junge Leute mit Kindern
einzogen, hat sich der Trend zur alternden Kommune seit rund sieben
Jahren umgekehrt. Das zeigt sich derzeit an 274 Kindergarten- und 407
Grundschulkindern. Bereits vor der Jahrtausendwende wurde im Regionalen
Raumordnungsplan für Nauheim die Höchstzahl an Einwohnern mit 12.000
festgeschrieben. Damals war jedoch die durch den erweiterten
Flughafenbetrieb festgelegte Siedlungsbeschränkung noch nicht wirksam.
Am 29.12.2022 überschritt Nauheim die 11.000-Einwohner-Marke mit 11.040
Bewohnern. Fluktuationsbedingt war man Ende März 2023 aber schon wieder
auf 10.964 abgesunken.