Askmuntesheim und die ehemalige Jakobskirche 

Jakobskapelle
Die meisten Nauheimer haben schon von der verschwundenen ehemaligen ,Jakobs-Kirche‘, einst ,vor dem Dorf‘ gelegen, gehört, und sie können sie auch verorten, nämlich in der Nähe des heutigen Saalbaus in der Bahnhofstraße. Die Flurbezeichnung ‚Vor der Kirche’ und ‚Unter der Kirche’ beidseits der Bahnhofstraße vor der Bahnlinie lässt auch darauf schließen, dass sich an dieser Stelle eine Kirche befunden hat. Wo eine Kirche gebaut wurde, da sind auch Menschen, die dort wohnen, deren Häuser um die Kirche gruppiert sind, und die damit zu vermutende Siedlung hat dann auch einen besonderen Namen, der früh überliefert, aber dann später mit der Siedlung verschwunden sein kann. Die Wohnhäuser und Stallungen waren üblicherweise viel früher da, ehe eine Kirche gebaut wurde, und der Siedlungsname kann dann auch weit zurückreichen. Die Patronatsherren der verschwundenen Kirche waren im Spätmittelalter die Herrn von Hagen-Münzenberg und ihre Nachfolger, als einstige Verwalter von fränkischem und deutschem Königsgut entlang der anscheinend durch das Dorf verlaufenden frühmittelalterlichen  Fern- bzw.Verbindungsstraße zwischen den Königs- bzw. Kaiserpfalzen Frankfurt, Trebur und Worms.
Die ehemalige Nauheimer Jakobskirche, die einst auf dem Hügel vor dem Ort stand, wurde bis zur Einweihung der evangelischen Kirche Weihnachten 1753 mehrere Jahrhunderte genutzt. Sie soll einen Turm mit zwei Glocken, einen Anbau und ein schiefergedecktes Dach gehabt haben. Sie wurde um 1783 abgebrochen. Das Abbruchmaterial wurde als Baumaterial verwendet.


Das verschwundene Kirchlein mag mit dem Aufkommen der Jakobsverehrung und der Pilgerwege nach Santiago de Compostela im 9. oder 10. Jahrhundert entstanden sein. Das Kirchlein lag ca. 25 km von Frankfurt entfernt, also eine Tagesreise für damalige Pilger auf der genannten Trasse, und in Frankfurt war der bis in die Neuzeit (1944) erhaltene ,Kompostellhof‘ im Stadtzentrum Rastpunkt der bekannten Pilgerstraßenführung Richtung Spanien. In Nauheim könnte die Jakobskapelle oder –kirche und ein eventuelles dortiges Spital eine reguläre Übernachtungsstation gewesen sein. Die Kirche war in katholischer Zeit dem Pilger-Apostel Jakob geweiht, dem auch wieder die nach dem zweiten Weltkrieg aufgrund des Zuzugs von Heimatvertriebenen entstandene katholische St. Jakobs-Kirche in Nauheim geweiht wurde, wobei aber der Flurname und Straßenname ‚(Unter der) Muschel’ bei der neuen Kirche in Nauheim keineswegs an Pilger und ihre Pilgermuscheln erinnert, sondern zusammen mit einem ähnlich lautenden Namen in Königstädten gedeutet werden muss (nach dem Historiker Prof. Dr. E. E. Metzner). Die verschwundene mittelalterliche Kirche lag auf einem fünf Meter hohen Sanddünenhügel, der in Richtung von Osten nach Westen einen Durchmesser von ungefähr fünfzig Metern hatte. Dieser Hügel wurde ‚der Totenhügel’( o. ä.) genannt. Hier wurden seit ältester Zeit die Toten bei der Kirche beerdigt.

Die Kirche an dieser Stelle war zunächst auch die Kirche für das jenseits des Schwarzbachs neu gegründetem Dorf um den heutigen Ortskern von Nauheim. Als das um die alte Kirche ursprünglich vorhandene Dorf aufgegeben worden war, aus welchen Gründen auch immer, lag die Kirche noch lange außerhalb des weiter bestehenden ‚Nauheims’, und die Nauheimer drängten folglich danach, die baufällige Kirche in ihr Dorf zu verlegen — in evangelischer Zeit. Der Neubau der heutigen evangelischen Kirche im ‚Neuen Heim’ Nauheim im Jahre 1753 war selbstverständlich der Anfang vom Ende der Kirche vor dem Dorf. Dreißig Jahre lang geschah an dem Bauwerk nichts, und es verrottete langsam aber sicher. Sein Schicksal besiegelte sich endgültig im Jahr 1783, als man den Abbruch vollzog. Der Totenhügel verschwand dann im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau.

Das erwähnte ursprüngliche Dorf in der Gemarkung Nauheim von heute lag bei der wohl später als das Dorf noch gegründeten Kirche, an dem auch von Martin Luther viel später noch benutzten erwähnten alten, weithin hochwasserfreien Fernweg von Frankfurt vorbei an Alt-Königstädten und Alt-Nauheim durch Trebur an den Rhein Richtung Worms und hieß im ,Lorscher Reichsurbar‘ (von 764/65 oder 834-850), einem undatierten Verzeichnis königlicher Einkünfte um diesen Fernweg, wohl ‚Askmuntesheim’. Den in dieser Form sonst nicht mehr genannten Ort hat der Historiker Prof. Dr. E. E. Metzner an der „Leerstelle“ um die verschwundene Kirche lokalisiert, für die man ja einen Orts-Namen suchen musste, also in der Nähe des alten Bahnübergangs rechts vom Schwarzbach. Das irgendwann in der Frühzeit danach links des Bachs gegründete neue Dorf, das aber auch schon vom Lorscher Reichsurbar erwähnt ist, hieß entsprechend bis heute ‚das neue Heim’, Nauheim. Die ältere Siedlung ‚Askmuntesheim’ aber war benannt nach einem Dorfgründer mit dem germanischen Namen ‚Askmund’.

Es gab aber anscheinend an der Schwarzbachmündung noch ein nach demselben Anführer benanntes Dorf, namens ‚Askmuntes-stein’ (o. ä.), das heißt ‚Stein(bau) des Askmund’, das nach E. E. Metzners Annahme an einer nach römischer Art erbauten steinernen Hafenanlage an der Mündung des Schwarzbachs lag. Diese Hafenanlage ist in Zusammenarbeit zwischen Römern und Alemannen entstanden und man hat sie später zufällig bei Astheim gefunden und ergraben – das dabei entstandene alamannische Dorf wurde umgangssprachlich der Einfachheit halber offenbar zunächst auch hauptsächlich nur ‚Stein’ genannt, aber – nachdem die Hafenanlage noch in spätrömischer Zeit aufgegeben wurde – danach ‚A-stein’ (,ehemaliger Stein‘) genannt, woraus dann, durch Verschiebung der Silbengrenze  irrtümlich ‚Ast-heim’ wurde, ein völlig sinnloser Name, aber angeglichen an die vielen ‚-heim’-Namen des Umlands.

Man kann also davon ausgehen, dass es sich bei den beiden Dörfern im Lorscher Reichsurbar mit dem gleichen Namen als Bestimmungswort um den Herrschaftsbereich desselben alamannischen Anführers und Dorfgründers bei der Landnahme nach dem Ende der Römerherrschaft rechts des Rheins handelte, um einen Alamannen, der aber dann doch mit den Römern zusammen die Hafenanlage veranlasste bzw. beaufsichtigte, die das rechtsrheinische Umland am heutigen Schwarzbach und seinen Zuflüssen versorgte, nachmals auch das neue fränkische Zentrum Trebur.

Unter den genannten beiden ähnlichen Namen sind im Lorscher Kodex das heutige Astheim und das verschwundene Dorf rechts vom Schwarzbach gegenüber dem alten Nauheim erwähnt; dem Gründer war offenbar das ganze Gebiet von der Schwarzbachmündung bis oberhalb Nauheims zugeordnet, einschließlich des Gebiets von Trebur.

Der "Totenhügel"

Der erste Nauheimer Friedhof  bei der ehemaligen "Jakobskirche" (nahe der heutigen Bahnlinie) wurde bis 1898 genutzt. Er bestand aus drei Teilbereichen. Der älteste und höchstgelegene Teil wurde Grabungsfunden 1898 nach schon seit heidnischer Vorzeit als Begräbnisplatz benutzt. 1835 wurde dieser Bereich mit Linden bepflanzt; eine besonders große, weihin sichtbare Linde  ist 1898 belegt. Der Friedhof war zuerst von einem „Plankenzaun“, dann von einer Mauer mit zwei Toren umgeben. Im zweiten Friedhofsbereich, vollständig mit Grabreihen gefüllt, wurde bis 1864 genutzt. Nach Aufzeichnungen im Kirchenbuch wurden über 425 Beerdigungen belegt.

Die Wege wurden 1859 gepflastert und der dritte Friedhofsteil fertig gestellt, aber erst im Januar 1864 eingeweiht. Der südöstliche Teil war für Kinder-, der nordöstliche für
Erwachsenenbeerdigungen vorgesehen. Dieser Friedhofsteil war bis zur Eröffnung des Friedhofs an der Waldstraße auf dem „Feldchen" 1891 Nauheimer Beerdigungsplatz. Die Bürger erreichten den Friedhof über den Fußweg „Bachsteg“ oder über die 1845 verbreiterte und gepflasterte „Vicinalstraße nach Trebur", der heutigen bahnhofstraße, an der neben dem Friedhofsgelände 30 Kirschbäume standen, die 1847 gepflanzt wurden.

Der Friedhofshügel (Totenhügel, Kirchhügel) hatte eine Höhe von etwa fünf Metern über der Bahnhofstraße. 1898 wurde der Totenhügel zur Baulandgewinnung abgetragen. Der Abraum wurde verteilt in das tiefer gelegene Neubaugebiet Wilhelm-Leuschner- und August-Bebel-Straße südlich des Friedhofgeländes.

Der „Saalbau", in der Bahnhof-Straße 36, wurde 1899 an dieser Stelle erbaut.

Totenhügel mit Jakobskirche

Totenhügel-Modell (M 1: 200) von 1856, erstellt von Erwin Kaul (1997/98);
Datenermittlung: Harald Hock, Richard Kaul, Wilhelm Kuhlmann


Quellen:  Prf. Dr. E.E. Metzner,
Harald Hock, Erwin Kaul, Richard Kaul, Wilhelm Kuhlmann,
Nauheimer Chronik I