Die Ludwigs-Eiche
„Seine königliche Hoheit, der Großherzog Ludwig III. hat am 8. Oktober 1857 dieser Eiche seinen Namen allergnädigst verliehen.“ So kündete eine Tafel nahe der Kreuzung der Lichtseeberg- und Kehresackerschneise im Groß-Gerauer Forst von einem historischen Ereignis, das mittlerweile eineinhalb Jahrhunderte zurück liegt. Der Großherzog war persönlich nach Groß-Gerau gekommen, um den Taufakt vorzunehmen. Seit dieser Zeit wird der mit annähernd 600 Jahren älteste Baum im Kreis "Ludwigseiche“ genannt.
Wie kurz ist doch die Zeitspanne, die eines Menschen Leben währt, gegenüber dem ehrwürdigen Alter, das dieser Baum erreicht hat. Vom ausgehenden Mittelalter bis in unsere Zeit der Moderne sind viele Generationen zu ihm hinaus gepilgert, haben Zwiesprache gehalten und sich an seiner urwüchsigen Kraft erfreut. Heute allerdings bietet die Ludwigseiche nur noch einen traurigen Anblick. Mehr und mehr Ist sie dem Verfall preisgegeben.
Könnte der sterbende Riese sprechen, er würde viel zu erzählen wissen. Geschichte wird lebendig, wenn man auf jene Jahre zurückblickt, in der die Eiche erste Wurzeln schlug. Die Grafen von Katzenelnbogen waren eifrig damit beschäftigt, ihre Besitztümer in der Groß-Gerauer Mark zu vergrößern und zeigten sich dabei schon wohltätig: 1383 errichtete Willhelm von Katzenelnbogen sein erstes Spital für die Kranken und Siechen. 15 Jahre später sollte Groß-Gerau die Stadtrechte erhalten . . . .
Noch heute ist die Stammpartie mit einem Umfang von 7,90 m gewaltig. Dies lässt erkennen, dass der Baum in seiner Blütezeit auch die stattliche Höhe von 32 m aufgewiesen hat. Im Laufe der Zeit aber verlor er Ast um Ast und schließlich auch seine Krone. Erst 1986 brach ein letzter gewaltiger Starkast in sechs Meter Höhe vom Stamm. Er ist dem ungestörten Verfall preisgegeben worden.
Die Spuren von 600 Jahren sind unübersehbar. Nahezu die gesamte Rinde ging dem Baum verloren. Ihr letzter Rest nährt die beiden einzigen noch vorhandenen Seitenäste. Markant und bizarr geformte Wurzelanläufe, zahlreiche Risse und eine große Stammhöhlung, beulige und stark wülstige Bereiche an Stamm und Ästen - so zeigt sich die Ludwigseiche heute dem Betrachter.
Viele Insektenbohrlöcher und Spechteinschläge lassen erkennen, dass der Baum eine vielfältige ökologische Funktion erfüllt. Erlen, Pappeln, Buchen, Kiefern und einzelne Heckenpartien geben dem greisen Baum ein Ehrenspalier.
Selbst Fachleute sind sich einig: Es ist sinnlos, mit aufwendigen Sanierungsmaßnahmen das Leben des Baumes verlängern zu wollen - man sollte ihn dem natürlichen Verfall überlassen. Mit ihm aber verschwindet im Strom der Zeit zugleich ein langes Kapitel Groß-Gerauer Geschichte.
Bild: Ludwigseiche von 1904 - Aus "Bemerkenswerte Bäume im Großherzogtum Hessen in Wort und Bild". Großherzogl. Ministerium der Finanzen, Abteilung für Forsten und Cameralverwaltung Darmstadt.
Text: Auszug aus „Pflanz einen Baum“ – Bäume im Kreis GG – Herausgegeben von der Kreissparkasse GG und dem Kreisausschuss des Kreises GG in 2004.